Beschwichtigungssignale: Hunde besser verstehen
Wir alle wissen es: In menschlichen Beziehungen hängt erfolgreiche Kommunikation mindestens zur Hälfte von unserem Willen ab, zuzuhören, was das Gegenüber zu sagen hat. Bei unseren Hunden jedoch tun wir uns eher schwer damit und betreiben häufig eine Einweg-Kommunikation: Wir teilen dem Hund etwas mit, und er soll lernen, das zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Wir sprechen ZU unserem Hund und nicht MIT ihm. Dabei haben uns unsere Vierbeiner viel zu sagen und teilen uns fortwährend mit, wie sie sich fühlen. Sie verfügen über ein umfangreiches Kommunikations-Repertoire, mit dem sie zu Artgenossen und Menschen gleichermaßen „sprechen“. Davon zu wissen und die Hundesprache zu verstehen, bringt ganz neue Qualitäten für unser Zusammenleben mit sich. Insbesondere das Wissen um die sogenannten „Beschwichtigungssignale“ eröffnet regelrechte Tore zur Hundewelt. Schnüffeln wir doch einmal hinein!
Was sind Beschwichtigungssignale … und wofür sind sie gut?
Beobachtungen an frei lebenden Wölfen haben gezeigt, dass sie Meister im Konfliktlösen sind. Sie vermeiden Auseinandersetzungen, wann immer es geht. In diesem Zusammenhang hatte man schon relativ früh erkannt, dass Wölfe über ein umfangreiches Repertoire an Signalen verfügen, die dazu dienen, Konflikte zu entschärfen und Spannungen abzubauen. Allerdings wurden diese Signale lange Zeit nicht richtig erforscht, außerdem hatte man ihre Existenz nicht auf die Hundewelt übertragen.
Dies alles war Anlass für die norwegische Hunde-Expertin und -Trainerin Turid Rugaas, Ende der 1980er Jahre eine Untersuchung zu starten. Hunderte von Hunden wurden beobachtet, es entstanden Videos und Diaserien. Das Ergebnis war eindeutig: Auch Hunde wenden regelmäßig konfliktlösende Signale an – von Welpenbeinen an bis ins hohe Alter. Jeder Hund, überall auf der Welt, sendet diese Signale aus und kann sie seinerseits auch lesen. Eine Vielzahl verschiedener so genannter Beschwichtigungssignale (oder auch: „Calming Signals“) wurde identifiziert.
Konflikte vermeiden und entschärfen, Spannungen abbauen, sich selbst oder andere beruhigen: Darum geht, wenn Hunde Beschwichtigungssignale anwenden. Beschwichtigungssignale / „Calming Signals“ sind damit gleichermaßen Stimmungsbarometer, Friedensstifter, Mittel der höflichen Kommunikation und auch Warnsignale für sich anbahnende Konflikte – und damit ganz wichtig, wenn es darum geht, Hunde zu verstehen.
Beschwichtigungssignale werden sowohl anderen Hunden als auch Menschen gegenüber angewandt. Es gibt bloß einen Unterschied: Zumindest gut sozialisierte Artgenossen „antworten“ bzw. reagieren im Regelfall auf die ausgesandten Beschwichtigungssignale. Das Gegenüber signalisiert seinerseits „Ich habe dich verstanden / bin friedlich / nicht an einem Konflikt interessiert“. Wir Menschen sind da oft schwerer von Begriff – und das kann arg frustrierend für den Hund sein: Er teilt uns seine Befindlichkeit mit – und wir reagieren (aus Unwissen) nicht darauf. Oder noch schlimmer: Weil wir manche Beschwichtigungssignale (zum Beispiel: Verlangsamung von Bewegungen, Wegdrehen des Kopfes, siehe unten) irrtümlich als „Sturheit“ oder „Ungehorsam“ deuten, bestrafen wir den Hund sogar dafür…
Tun wir also etwas für unsere Beziehung und werfen einen Blick auf das große Repertoire an Beschwichtigungssignalen, über die auch unser persönlicher Vierbeiner verfügt.
Welche Beschwichtigungssignale gibt es?
Bestimmt haben Sie das eine oder andere der folgenden Beschwichtigungssignale schon bei Ihrem Hund beobachtet. Die Auflistung ist nicht abschließend, sondern beinhaltet nur die „gängigsten“ – es gibt noch mehr! Die Bilder, die Sie zur Illustration sehen, sind allesamt nicht extra für diesen Zweck geschossen worden. Wir haben einfach unsere eigenen Fotos durchgeschaut – und eine Menge Beschwichtigungssignale in dafür „typischen Situationen“ entdeckt. Natürlich können wir nicht in die Hundeköpfe schauen und 100%ig sagen, was in ihnen vorging, als sie die Beschwichtigungssignale zeigten. Wir erlauben uns daher, die Bilder aus unserer Erfahrung heraus zu interpretieren.
Schlecken der Nase / Züngeln
Natürlich benetzt sich Ihr Hund auch die Nase, wenn er gerade etwas Leckeres verspeist hat oder ihm vor dem Essen das Wasser im Munde zusammenläuft. Es gibt jedoch eine Menge Situationen, in denen das „Züngeln“ (Zunge fährt über die Nase, kurz oder auch deutlich wahrnehmbar) als Calming Signal eingesetzt wird. Achten Sie einmal darauf, wenn Sie sich beim Anleinen oder im Hundetraining etwas zu sehr über Ihren Hund beugen oder ihm ein Besucher etwas unbeholfen von oben auf den Kopf patscht. Ganz häufig kommt dann kurz die Zunge heraus. „Etwas unangenehm“ könnte das in diesem Kontext heißen.
Auf dem Bild rechts züngelt Border Collie Coda vermutlich, weil ihm menschliche Hände des Spielpartners (oder aber auch der fotografierende Mensch mit der Kamera) zu nahe kommen. Oben rechts ist Beagle Asta umzingelt von Artgenossen. Die Enge in der Hundegruppe und die auf sie gerichtete Kamera sind vermutlich Auslöser für ihr Züngeln. Im Bild oben links beugt sich ein Mensch mit Fotoapparat über die beiden Hunde – aus Hundesicht eine etwas bedrohliche / bedrängende Körperhaltung. Einer der beiden Hunde reagiert mit Züngeln.
Blinzeln / Zusammenkneifen der Augen
Ein weiteres Calming Signal ist das Zusammenkneifen der Augen. Einige Hunde senken auch den Blick oder lassen die Augen von rechts nach links wandern. Das kommt zum Beispiel vor, wenn wir unseren Hunden ins Gesicht starren oder die Kamera auf sie richten, genau so aber im Kontakt zu anderen Hunden. Im Bild rechts scheint dem Foxhound das Gedränge in der Menschen- und Hundegruppe zu viel zu sein (darauf deuten auch die zurückgelegten Ohren und das Hecheln hin): Auf die Kontaktaufnahme des Beagles hin kneift der die Augen zusammen und dreht den Kopf zur Seite. Der Beagle links hat (höflich) mit einem Züngeln reagiert (könnte in diesem Kontext so etwas wie „komme in friedlicher Mission“ bedeuten) – man sieht gerade noch seine Zungenspitze in der Schnauze verschwinden.
Auf den beiden Bildern unten posieren Sheltie Sun und Beagle Asta für ein Foto am Strand. Asta hat sich ins „Platz“ gelegt, Sun sitzt daneben. Die zwei sind – für Hundeverhältnisse – recht dicht beieinander positioniert worden. Solange beide nach vorne gucken, zeigt keiner der Hunde Beschwichtigungssignale. Als Sun jedoch ihren Kopf in Astas Richtung dreht, kneift dieses die Augen zusammen – vielleicht der entscheidende „Tick“ Nähe zu viel?
Den Kopf zur Seite drehen
Das Abwenden des Blickes oder sogar des gesamten Kopfes ist ein oft zu beobachtendes Beschwichtigungssignal. Ohnehin gilt direkter Blickkontakt und Anstarren unter Hunden als unhöflich und wird von gut sozialisierten Hunden vermieden.
Die Beagles auf den ersten drei Bildern reagieren auf die greifenden Hände der Zweibeiner und drehen ihre Köpfe deutlich weg, als sie umarmt bzw. für ein Foto in Position gerückt werden oder nach ihrer Pfote gegriffen wird. Es ist anzunehmen, dass die Enge der Situation (nach ihnen greifende Hände, dazu noch unmittelbar vor ihnen ein Mensch mit Foto-Apparat) Unbehagen auslöst. Aus der Beißprävention gibt es eine Faustregel: Wann immer sich die Körperachse so deutlich vom Menschen wegdreht, ist das ein Warnsignal – und man sollte dem Hund unbedingt Raum zum Ausweichen geben.
Auf dem nächsten Bild weist die Körpersprache von Beagle Asta darauf hin, dass ihr die Enge zwischen Menschen und Artgenossen etwas zu viel ist. Auf dem mittleren Bild dreht sie den Kopf zur Seite, als ein anderer Vierbeiner Kontakt aufnimmt. „Etwas unheimlich“ könnte das in diesem Kontext heißen, aber auch Höflichkeit und friedliche Absicht signalisieren. Auf dem letzten Bild ist die auf die Hunde gerichtete Kamera bzw. der zugehörige nach vorn gebeugte Mensch Auslöser für Calming Signals: Der Foxhound dreht seinen Kopf von der Kamera weg, der Beagle kneift die Augen zusammen.
Gähnen
Ganz klar: Hunde gähnen genau wie wir, wenn sie müde sind! Aber: Gähnen gehört auch zu den häufig gezeigten Beschwichtigungssignalen und hat dann nichts mit Müdigkeit zu tun. Achten Sie einmal darauf, wenn Sie Anstalten machen, zum Spaziergang aufzubrechen und Ihr Hund ist deshalb schon ganz aufgeregt. Viele Hunde gähnen in solchen Situationen – vermutlich, um sich selbst zu beruhigen. Übrigens ist Gähnen eines der Beschwichtigungssignale, die im Hundeleben am frühesten auftreten. Schon ganz junge Welpen gähnen, sobald sie hochgenommen werden.
Auf unserem Bild rechts posieren die Beagles Lina und Jacko für ein Foto und wurden dicht an dicht auf einem Baumstumpf positioniert. Auch, wenn beide Hunde sich prima verstehen: Das ist anscheinend ein wenig zu eng – und so wendet Jacko den Kopf ab und gähnt. Unten wird Beagle Asta von Frauchen in eine Decke gehüllt und warm gehalten. Offensichtlich ein bisschen zu viel Nähe – zumindest in Kombination mit der auf sie gerichteten Kamera und dem vor ihr stehenden fotografierenden Menschen: Asta dreht den Kopf zur Seite und gähnt. Beschwichtigungssignale wie aus dem Bilderbuch zeigen Asta und Labrador Oscar: Für ein Erinnerungsfoto eng beieinander positioniert und dazu noch mit der Kamera vor der Nase, dreht Oscar den Kopf zur Seite und gähnt, Asta wendet sich ebenfalls ab und blinzelt.
Border Collie Coda fühlt sich offenbar angesichts der nahen Kamera unbehaglich: Er dreht den Kopf nach links, nach rechts, schließlich gähnt er.
Die Hundegruppe unten zeigt Calming Signals wie aus dem Bilderbuch – und wie schon auf den Bilden zuvor wird deutlich, dass Beschwichtigungssignale häufig miteinander kombiniert werden: Alle vier Hunde werden für ein Foto eng beieinander abgelegt bzw. -gesetzt. Auch, wenn sie sich gut verstehen: Die Nähe ist – hundetypisch – für sie anspruchsvoll. Auf dem ersten Bild drehen die beiden Collie-Damen (vorne Mitte und rechts) ihre Köpfe zu Seite. Auslöser dafür könnten sowohl der fotografierende Mensch direkt vor den Hunden als auch die Enge in der Hundegruppe sein. Auf das deutliche Kopfwegdrehen von Collie-Dame Lana (vorne in der Mitte) reagiert wiederum Beagle Asta (hinten) und wendet sich ab. Im zweiten Bild wurden die Collie-Damen animiert, wieder nach vorne zu schauen (schließlich sollte das Bild schön werden). Daraufhin dreht sich auch Asta wieder nach vorne (vermutlich, da kein Collie-Gesicht mehr auf sie gerichtet ist). Dafür gähnt jetzt (links im Bild) Border Collie Coda (vermutlich, weil Lanas Kopf wieder näher gerückt ist).
Sich abwenden / sich mit dem Rücken zum Hund oder Menschen stellen
Hunde beschwichtigen uns Menschen und ihresgleichen, indem sie sich umdrehen und ihrem Gegenüber den Rücken zudrehen. Beagle Asta und Labrador Oscar zeigen dies auf dem unter „Gähnen“ aufgeführten Bild. Einige Hunde drehen sich bei der Begrüßung ihrer Menschen um und strecken ihnen ihren Rücken entgegen.
Verlangsamung von Bewegungen
Bestimmt kennen Sie Situationen wie diese: Sie gehen morgens mit Ihrem Hund spazieren, sind mit Ihren Gedanken vielleicht schon halb bei der Arbeit und haben es ein wenig eilig. Weil Ihr Hund wieder einmal ewig an einem Baum die Zeitung liest, rufen Sie ihn mit etwas Ungeduld in der Stimme – er soll sich mal ein bisschen beeilen. Doch was tut dieser? Trödelt scheinbar noch mehr rum, kommt gaaaanz langsam auf Sie zu. Oder: Sie sind auf dem Hundeplatz und sollen mit Ihrem Hund das bislang Geübte vorführen. Sie sind ein wenig nervös, weil alle zuschauen. Sie geben Ihrem Hund ein Kommando – und statt es blitzartig (wie sonst immer) auszuführen, bewegt sich Ihr Hund nur noch in Zeitlupe.
In beiden Fällen ist es wahrscheinlich, dass Ihr Hund auf Ihre Anspannung reagiert, die sich ihm durch kleinste Veränderungen von Stimme und Körpersprache mitteilt. Die Verlangsamung von Bewegungen gehört zu den Beschwichtigungssignalen – und ist in den beschriebenen Situationen oft ein ein gut gemeinter Versuch des Hundes, die Situation zu entspannen („alles gut, bloß keinen Stress“). Von uns Menschen wird das häufig gründlich missverstanden: „Warum um Himmels Willen ist der Hund so langsam, wenn es darauf ankommt?“ Sein Beschwichtigungsversuch wird von uns oftmals als Ungehorsam, Ignoranz oder gar „Dominanz“ interpretiert.
Übrigens: Untereinander zeigen Hunde dieses Beschwichtigungssignal ebenfalls. Die Verlangsamung von Bewegungen kann dabei helfen, Begegnungen zu entspannen. So bleibt hier im Bild der linke Beagle ganz ruhig und mit abgewandtem Blick stehen, als der etwas aufgeregtere Artgenosse (zu erkennen an der steifen Rutenhaltung) Schnupperkontakt aufnimmt.
Sich ruhig hinsetzen oder hinlegen
Wenn in der Hundegruppe einem der Beteiligten das Spiel zu wüst wird oder ein Artgenosse allzu stürmisch des Weges kommt, setzen oder legen sich Hunde häufig ganz ruhig hin. Die beiden Minis auf den unteren Bildern sitzen oder liegen ganz still, während die größeren Hunde Kontakt aufnehmen.
Am Boden schnüffeln
Hunde lieben Gerüche – und haben ihre Nasen häufig am Boden, das ist klar. Allerdings wird das Schnüffeln auch – deutlich wahrnehmbar – als Beschwichtigungssignal eingesetzt, denn es wirkt stark deeskalierend.
Zur Anwendung kommt das Schnüffeln häufig in der Begegnung mit Artgenossen. In beiden Bildern unten wird jeweils auf die Kontaktaufnahme neugieriger Artgenossen mit Schnüffeln am Boden reagiert. Die beiden Beagles auf dem linken Bild wenden dem Kontakt aufnehmenden Artgenossen außerdem ihr Hinterteil zu.
Gegenüber uns Menschen wird das Schnüffeln am Boden auffällig oft gezeigt, wenn wir angespannt sind (zum Beispiel ungeduldig nach unserem Hund rufen) oder den Hund im Training überfordern. Wir Zweibeiner missverstehen das häufig als Ungehorsam oder Unkonzentriertheit – erst recht, wenn es in Kombination mit einer Verlangsamung von Bewegungen einher geht. Ein Teufelskreis, denn wenn wir Zweibeiner uns darüber ärgern, ist das für den Hund erst recht Anlass, Beschwichtigungssignale zu zeigen.
Vorderkörper-Tiefstellung
Was aussieht wie eine typische Spielaufforderung oder eine Verbeugung, ist oft ebenfalls ein Calming Signal. Die Vorderkörpertiefstellung wird häufig im Spiel mit Artgenossen eingesetzt, um das Spiel zu entschleunigen bzw. sich in kleinen Pausen mit dem Spielpartner abzustimmen, dass „alles nur Spiel“ ist.
Auf unserem Bild deutet Mücke durch Vorderkörpertiefstellung an, dass sie sich im Moment in ihrer Trainingseinheit überfordert fühlen könnte.
Die Pfote heben
Beagle Asta fühlt sich nicht wohl auf der umzäunten Hundewiese und steht an der Tür. Gleichzeitig wird sie von einem Artgenossen beschnuppert. Sie kann nicht ausweichen, wendet jedoch den Blick ab und hebt ihre Pfote.
Einen Bogen laufen
Höfliche Hunde machen umeinander einen kleinen Bogen, bevor sie sich beschnüffeln. Sie gehen selten frontal aufeinander zu. Die Beagles auf den beiden Bildern zeigen, wie es funktioniert. Das Bogenlaufen zeigen Hunde auch uns Menschen gegenüber – und werden von uns häufig gründlich missverstanden: Wenn unser Hund nicht schnurstracks auf uns zu kommt, wenn wir ihn rufen, sondern einen Bogen schlägt, werten wir das häufig als Provokation.
Splitten
Wenn zwei Hunde oder Menschen zu nahe beieinander sind, könnte das aus Sicht des Hundes in einen Konflikt münden. Um dies zu vermeiden, versuchen manche Hunde, zu „splitten“, sich also zwischen Hunde oder Menschen zu stellen. Wer eine Welpengruppe organisiert, weiß, welch eine Hilfe ein sozial kompetenter, erwachsener Hund sein kann, der sich zwischen zwei all zu wild spielende Welpen stellt. Gesplittet wird häufig aber auch, wenn sich zwei Menschen umarmen oder eng nebeneinander auf dem Sofa sitzen. Wenn der Hund sich dann dazwischen schiebt, wird das von uns oft als „Eifersucht“ oder gar „Dominanz“ fehlinterpretiert.
Pinkeln
Auch Pinkeln kann der Beschwichtigung dienen – und ist natürlich (wie viele andere Beschwichtigungssignale auch) immer im Kontext der Gesamtsituation zu beurteilen. Der Beagle in unserer Bildreihe soll für eine Tiervermittlungs-Webseite fotografiert werden (Anmerkung am Rande: Der Beagle trägt ein Würgehalsband – so etwas ist erfreulicherweise inzwischen längst aus dem Tierheim verbannt). Er hat bereits ein paar Tage im Tierheim gesessen und ist entsprechend gestresst. Dann soll er auch noch eine gute Figur machen und in die Kamera gucken. Der Beagle zeigt eine Vielzahl von Beschwichtigungssignalen: Er züngelt, er schnüffelt am Boden, er wendet seinen Kopf und seinen Körper ab, er hebt seine Vorderpfote – und er pinkelt.
Generell ist Pinkeln Bestandteil der friedlichen Kommunikation unter Hunden (und sollte deshalb übrigens auch beim Hundetraining erlaubt sein!). Sie hinterlassen damit sozusagen ihre Nachrichten an der Hunde-Pinnwand… Wenn mehrere Hunde zusammen kommen und das Zusammensein genießen, veranstalten sie häufig eine regelrechte „Pinkel-Party“: Einer fängt an, die anderen machen mit – ein echtes gesellschaftliches Ereignis also. Übrigens – genau wie beim Menschen gilt beim Hund: je aufgeregter man ist, umso häufiger „muss“ man…
Der praktische Nutzen
Was bringt uns nun das Wissen über Beschwichtigungssignale?
Beschwichtigungssignale für ein besseres Verständnis
Vielleicht geht es Ihnen ähnlich wie uns: Wenn Sie die Beschwichtigungssignale kennen, erscheint es Ihnen, als könnten Sie in Ihrem Hund lesen wie in einem offenen Buch. Sie erhalten zu jeder Zeit Auskunft über seine Gefühlslage. Sie sehen plötzlich, was in der Begegnung mit anderen Hunden tatsächlich „abläuft“. Sie sehen auch, wie sich andere Hunde fühlen und welche Signale sie an ihre Besitzer senden (was leider nicht immer schön ist – wenn Sie auch sehen, dass der Besitzer nicht reagiert). Vielleicht wird so manch ein Missverständnis zwischen Ihnen und Ihrem Hund bereinigt, denn Sie wissen nun, dass es für Ihren Hund wichtiger ist, Konflikte zu lösen und zu deeskalieren, als um jeden Preis „gehorsam“ zu sein.
Beschwichtigungssignale unter Hunden: höchst wünschenswert
Freuen Sie sich, wenn Sie einen Hund haben, der im Umgang mit anderen Hunden viele Beschwichtigungssignale anwendet! Geben Sie ihm genug Freiraum, diese Signale auch zu zeigen und beobachten Sie die faszinierende Bandbreite der Kommunikation, die sich dadurch ergibt.
Beschwichtigungssignale als Informationsquellen: Situationen entschärfen
Nicht jedes Beschwichtigungssignal löst gleich Handlungsbedarf aus. Wenn es jedoch Situationen gibt, in denen Ihr Hund im Umgang mit Ihnen oder mit anderen Menschen häufig und deutlich Beschwichtigungssignale anwendet, dann sollten Sie aktiv werden. Ihr Hund teilt Ihnen dadurch mit, wann es ihm unbehaglich ist und was ihn beunruhigt. Oft ist es ein Leichtes, diese Situationen zu „entschärfen“: Vielleicht mag es Ihr Vierbeiner lieber, wenn Sie ihn an der Brust kraulen statt den Arm um in zu legen oder über seinen Kopf zu wuscheln. Vielleicht weiß er es zu schätzen, wenn Sie sich beim Anleinen eher seitlich neben ihn hocken, anstatt sich über ihn zu beugen. Vielleicht bleibt er entspannter, wenn Sie die „Kommandos“ im Training mit bewusst freundlicher Stimme geben. Und so weiter.
Wer auf Beschwichtigungssignale achtet und seinem Hund aus beunruhigenden Situationen heraus hilft, kann vielen Problemen vorbeugen. Beißvorfälle, die vermeintlich „ohne Vorwarnung“ und „aus heiterem Himmel“ geschehen, haben häufig eine klassische Vorgeschichte – und sind oftmals vermeidbar. Ein Beispiel: Ein Hund, der von einem Kind bedrängt wird (zum Beispiel herzlich in den Arm genommen wird), drückt sein Unbehagen im Regelfall zunächst durch Beschwichtigungssignale aus (beispielsweise: Wegdrehen des Kopfes, Züngeln, Gähnen). Werden die Beschwichtigungssignale jedoch nicht verstanden und hat der Hund keine Möglichkeit, sich aus der Situation zurück zu ziehen, muss er „deutlicher“ werden und zeigt als Nächstes „distanzvergrößernde“ Signale. Er knurrt dann, zum Beispiel. Fruchtet auch dies nicht (oder wird dies im schlimmsten Fall sogar bestraft und ist damit aus Hundesicht „verboten“) und hat der Hund keine Chance, der Bedrängnis zu entfliehen, gibt es für ihn nur noch eine Möglichkeit: Schnappen oder – schlimmstenfalls – Beißen…
Dass es so dramatisch erst gar nicht wird, dafür sorgen Sie. Wenn Sie darauf achten, was Ihr Hund Ihnen „sagt“ und entsprechend reagieren, dann hat Ihr Hund keinen Anlass, „deutlicher“ zu werden. Im Gegenteil: Er fühlt sich von Ihnen verstanden, ist bei Ihnen in Sicherheit und kann entspannt mit Ihnen durch den Alltag gehen.
Beschwichtigungssignale selbst anwenden!
Calming Signals sind nicht nur Informationsquellen, auf die wir Menschen reagieren können. Wir können sie als wichtiges Kommunikationswerkzeug auch selbst einsetzen. Hier ein paar Beispiele:
- Begegnen Sie einem Hund, der Ihnen gegenüber unsicher ist oder den Ihre Gegenwart beunruhigt, können Sie ihn beruhigen, indem Sie nicht direkt auf ihn zugehen und ihm nicht direkt in die Augen schauen. Drehen Sie sich stattdessen ein wenig zur Seite, wenden Sie den Blick ab – und der Hund wird sich gleich besser fühlen.
- Gehen Sie mit einem Hund spazieren, der ein Problem mit anderen Hunden hat, so erleichtern Sie ihm die Begegnung mit Artgenossen, indem Sie mit Ihrem Hund gemeinsam einen Bogen schlagen. Ihr eigener Hund kann damit die Distanz einhalten, die er zu anderen Hunden braucht, und der andere Hund wird dieses Signal verstehen. Gut möglich, dass er seinerseits mit Beschwichtigungssignalen antwortet, was die Situation weiter entspannt.
- In ähnlichen Situationen können Sie sich auch das „Splitten“ zunutze machen: Wenn Sie zwischen Ihrem Hund und dem anderen gehen, erleichtern Sie das aneinander vorbei Gehen. Gehen Sie mit zwei angeleinten Hunden spazieren, die zunächst Probleme miteinander haben, so hilft es ihnen, wenn beim Spaziergang zunächst mehrere Menschen zwischen ihnen laufen.
- Ihnen kommt ein angeleinter Hund entgegen, der offensichtlich Probleme mit Artgenossen hat? Wenn Sie mit Ihrem Hund ein wenig zur Seite gehen und ihn ein paar Leckerchen am Boden suchen lassen, dann wirkt das auf den entgegenkommenden Hund stark deeskalierend – und Sie helfen dem Hund-Mensch-Team auf dezente Art und Weise, gut durch die Situation zu kommen.
Die Möglichkeiten, praktischen Nutzen aus dem Einsatz von Beschwichtigungssignalen zu ziehen, sind vielfältig. Probieren Sie es doch einfach mal aus! Seien Sie sicher: Das Zusammenleben mit Ihrem Hund wird dadurch reicher!
Mehr Wissen über Beschwichtigungssignale
Dies soll nur ein kleiner Einblick in die faszinierende Welt der Hundesprache sein. Turid Rugaas (www.turid-rugaas.no), der wir das Wissen über die Calming Signals in erster Linie verdanken, hat ihr Know-How in Form eines Buches und einer DVD allen Hundebesitzern zugänglich gemacht, außerdem gibt’s noch mehr zu lesen und zu sehen.
- DVD „Calming Signals. Wie Hunde Konflikte loesen“:
Die Original-DVD von Turid Rugaas über Beschwichtigungssignale (Ursprünglicher Titel: On Talking Terms with Dogs: Calming Signals) ist in ihrer Aussagekraft und Authentizität nicht zu toppen – auch wenn sie bereits einige Jährchen auf dem Buckel hat (und man das den Videosequenzen auch ansieht). Die kommentierten Videosequenzen sind von Amateuren in den exakt „richtigen“ Momenten aufgenommen worden. Wer diese DVD in Deutschland beziehen will, muss ein wenig suchen und findet manchmal nur Gebrauchtexemplare. Dabei gibt es aus dem Jahr 2006 sogar eine deutschsprachige Übersetzung der DVD, herausgebracht von der britischen Hundetrainerin Sheila Harper. Doch auch die englischsprachige Fassung ist gut zu verstehen – mit einfachem Schulenglisch kommt jeder klar.Zur DVD bei Amazon * - Turid Rugaas: „Calming Signals. Die Beschwichtigungssignale der Hunde“ (animal learn Verlag, ca. € 19,00):
Das Original – verbreitet in aller Welt und die Grundlage für das Wissen über Beschwichtigungssignale. Auch gut 20 Jahre nach seinem Erscheinen hat dieses auf den ersten Blick geradezu unscheinbar und schmucklos daher kommende Büchlein nichts von seiner Aktualität und Faszination verloren. Auf ihre einfache, klare Art und Weise schafft es Turid Rugaas, den Leser in seinen Bann zu ziehen – und Tore zur Hundewelt zu öffnen. Unbedingt lesenswert!Zum Buch bei Amazon *
- „Calming Signals. Die Beschwichtigungssignale der Hunde. Ein Film mit Turid Rugaas“ (animal learn Verlag, ca. 40,- €): Calming-Signals-DVD des Animal Learn Verlags unter Mitwirkung von Turid Rugaas.Zur DVD bei Amazon *
- Clarissa von Reinhardt, Martina Scholz: „Calming Signals Workbook“ (animal learn Verlag, ca. € 25,00):
Praxis-Ratgeber, wie man sich das Wissen um die Beschwichtigungssignale im ganz normalen Alltag und im Training (auch und gerade bei „Problemverhalten“) zunutze machen kann – um Konflikte gar nicht erst aufkommen zu lassen und dem Hund Sicherheit in für ihn schwierigen Situationen zu geben. Das Buch schaut dabei auch über den „Tellerrand“ der Beschwichtigungssignale hinaus und regt insgesamt zu mehr Verständnis, mehr Nachdenken, genauerem Beobachten und gezielterem Handeln in Zusammenleben und Training mit dem Hund an. Achtung: Das Buch setzt die Kenntnis der Beschwichtigungssignale voraus – sie werden darin leider nicht noch einmal beschrieben. Wenn Sie jedoch unseren Einstieg über Beschwichtigungssignale gelesen haben, sollten Sie klarkommen – oder aber Sie lesen umfassender in Turid Rugaas‘ „Calming Signals. Die Beschwichtigungssignale der Hunde“ nach.Zum Buch bei Amazon *