Der Online-Hundekongress 2020 im Blog
Bei der Premiere 2019 waren wir selbst mit einem Beitrag von Christina Sondermann zum Thema „Hundebeschäftigung: artgerecht und alltagstauglich“ mit von der Partie und haben außerdem die Vorträge der Mitreferent(inn)en mit großem Interesse verfolgt. In der Ausgabe 2020 haben wir als begeisterte Zuschauer und Blogger mitgemacht: Vom 13.-18. November 2020 lief der kostenlose Hunde-Onlinekongress. Es ist jedes Mal ein Erlebnis, wenn Ariane Ullrich gut 30 Hunde-Expertinnen und -Experten (die allesamt für einen gewaltfreien, freundlichen Umgang mit dem Hund stehen) zusammen trommelt und sie zu ihren jeweiligen Spezialthemen interviewt. Unser Blog trägt Interessantes und Wissenswertes zusammen!
An den Kongresstagen und in den Tagen danach (weil gar nicht alles zu schaffen war) haben wir uns viereckige Augen geguckt – und lassen Sie teilhaben an den Interviews, die wir uns angeschaut haben. Die Reihenfolge hier ist thematisch bunt gemischt – wann immer wir ein Interview geschaut haben, fügen wir einen Absatz darüber hinzu. Und nicht wundern: Weil „Kind und Hund“ an zwei der sechs Kongresstagen der Schwerpunkt war, drehen sich eine Menge der Vorträge um dieses Themenfeld.
Katrin Umlauf: Tierschutz – ein weites Feld
Mit Karin Umlauf, promovierte Verhaltensbiologin, Referentin im Heimtierbereich und Einrichtungsleiterin des Tier-, Natur- und Jugendzentrums Weidefeld trägt der Deutsche Tierschutzbund definitiv zur kompetenten und zeitgemäßen Wissensvermittlung rund um den Hund bei!
Besonders interessant im Interview fanden wir ihre nachvollziehbare Erklärung für die viel diskutierte Regelung in der neuen Tierschutz-Hundeverordnung, wonach mit Hunden mindestens 1 Stunde am Tag spazieren gegangen werden muss. Karin Umlauf sagt: Diese Regelung zieht nicht auf den „normal gehaltenen“ privaten Familienhund ab. Sie ist vielmehr dazu da, den Behörden eine Handlungsgrundlage zu geben, wenn schlechte Haltungsbedingungen überprüft werden: wenn beispielsweise skrupellose Welpen-Vermehrer die Hunde ausschließlich in geschlossenen Räumen bzw. Wohnungen aufziehen (lassen) oder aber Hunde den ganzen Tag isoliert im Zwinger sitzen. Selbstverständlich wird zum Beispiel niemand dazu gezwungen, seinen betagten Hunde-Senior zu einem für ihn überlangen Spaziergang zu nötigen.
Workshop Kind und Hund – Training
Die meisten Kinder haben den Wunsch, mit dem Familienhund zu interagieren. Doch welche Übungen sind sinnvoll und was ist zu beachten? Mit Janey May, Aurea Verebes und Ariane Ullrich waren zu diesem Thema drei versierte Hund-Kind-Spezialistinnen (und Mütter) am Start. Alle vertreten leicht unterschiedliche Ansätze, sind sich über die Grundsätze einig:
- Jeder Hund, jedes Kind, jede Familie sind individuell. Was in welchem Alter gemacht werden kann, hängt stark von der jeweiligen Konstellation und auch vom Wissen der Eltern ab.
- Jegliche Hund-Kind-Interaktion bedarf sorgfältiger Vorbereitung und Begleitung durch die Eltern. Je jünger die Kinder sind, desto intensiver. Hund und Kind werden niemals sich selber überlassen!
- Es bedarf eines vergleichsweise niedrigen Erregungslevels auf beiden Seiten. Zeiten, in denen Hund und Kind relativ ruhig und entspannt sind, sind gut für Interaktion.
- Die Eltern sollten die Körpersprache des Hundes lesen können – so können sie Gefahrensituationen jederzeit abwenden.
Hier eine kleine Auswahl aus der Fülle praktischer Tipps und Ideen, die uns besonders gut gefallen haben (allesamt natürlich sehr verkürzt wiedergegeben):
- Schon jüngere Kinder (z.B. zwei / drei Jahre) können dem Hund in Begleitung ihrer Eltern Leckerchen streuen. Dafür wird dem Hund zunächst beigebracht, das Futter nicht aus der Kinderhand, sondern vom Boden zu fressen. Um dies zu erreichen, können die Eltern dem Hund vorbereitend ein Wort beibringen, das Futter auf dem Boden ankündigt, z.B. „Plumps“ (wird eingeübt, indem dem Hund auf „Plumps“ hin mehrmals erst Futterbröckchen auf den Boden gelegt, dann auf den Boden geworfen werden). Ein gut konditioniertes „Plumps“ kann von den Eltern auch als Notfallsignal eingesetzt werden, um in aufregenden Situationen die Hundenase Richtung Boden zu bringen (z.B. wenn er plötzlich aufgeregter wird und/oder bevor er Anstalten macht, anzuspringen).
- Ebenso praktisch für die Sicherheit in Kind-Hund-Interaktionen ist es, wenn die Eltern dem Hund Signale geben können, die die Distanz zum Menschen vergrößern: zum Beispiel, wenn er mit einem gut trainierten und positiv aufgebautem Signal auf ein Target oder auf seine Decke geschickt werden kann (um dort seine Belohnung zu bekommen) oder wenn er ein Wort kennt, das ihm ankündigt „Das Belohnungsfutter fliegt jetzt vom Menschen weg“ (zum Beispiel „Kegeln“).
- Eine schöne Regel verhindert, dass das Kind den Hund „dauerfüttert“ (auch vom Tisch): Jeden Tag wird ein Gläschen mit Futter abgefüllt, dass das Kind dem Hund geben darf. Es fragt dafür jedes Mal die Eltern. Ist das Gläschen leer, wird es erst am nächsten Tag wieder aufgefüllt. Ergänzend wartet der Hund während der „Menschenmahlzeiten“ auf einer Decke bzw. durch ein Kindergitter getrennt (und wird dafür belohnt!).
- Toll sind Spiele, die die Bedürfnisse beider befriedigen: zum Beispiel finden sowohl Kinder als auch Hunde Versteckspiele toll (die Kinder verstecken sich oder Leckerchen oder Hundespielzeuge/Dummys oder einen nach ihnen riechenden Tannenzapfen), ebenso den Bau eines Parcours.
- Ältere Kinder können Übungen abrufen, die die Hunde bereits gut beherrschen. Dabei ist wichtig, dass die Eltern wissen: Hunde lernen alle Details von Stimmlage und Körpersprache mit. Es kann deshalb sein, dass ein vom Kind gegebenes Signal vom Hund zunächst nicht auf Anhieb verstanden wird. Um Frust auf beiden Seiten zu vermeiden, sind die Eltern immer unterstützend dabei.
- Etwas ältere Kinder können prima den Clicker als punktgenaue Bestärkung einsetzen. Allerdings empfiehlt es sich, mit ihnen vorbereitende Spiele zum Timingtraining zu machen: Geclickt werden kann zum Beispiel, wenn ein Familienmitglied oder der Stoffhund die Spitze eines Target-Sticks berührt.
- Positive Interaktion kann auch indirekt sein: wenn das Kind den Wassernapf des Hundes auffüllt, ein Schleckspielzeug füllt, mit den Eltern für den Hund einkauft, das Streicheln mit einem Stoffhund simuliert oder mit den Eltern den Hund und seine Körpersprache beobachtet.
Anne Bucher: Reaktive Hunde
Ein super entspanntes Interview voll mit handfesten Tipps rund um ein Thema, das viele Hundeleute interessiert: Was tun, wenn der Hund auf bestimmte Außen-/Umweltreize zu schnell und heftig reagiert? Hier nur ein paar Auszüge von Anne Buchers Aussagen, die uns besonders im Gedächtnis geblieben sind:
- Viele der als „reaktiv“ beschriebenen Hunde sind „biologisch normal, nur nicht gesellschaftskonform“. Das heißt: Wir Menschen entscheiden uns bei der Rasseauswahl oft bewusst für spritzige, sportliche, schnell reagierende Hunde – und haben dabei nicht im Kopf, dass sich diese Reaktionsfähigkeit natürlich auch im Alltag zeigt. Ziel ist es dann, die „Zündschnur“ im Alltag etwas zu verlängern. Die Devise für diese Hunde heißt häufig: Im Training auf Entschleunigung setzen, im Alltag Langsamkeit und Entspanntheit fördern, zu viel Action vermeiden!
- Zu beachten ist auch immer der Aspekt „Gesundheit“: Auch Schmerzen führen bei vielen Hunden zu erhöhter Reaktivität: Ein Check des Bewegungsapparates (Gangbildanalyse) und ein großes Blutbild bringen oft Klarheit.
- Was tun bei Hunden, die in bestimmten Situationen total aufgeregt sind (zum Beispiel bevor es rausgeht, nach dem Aussteigen aus dem Auto): Möglichst einsetzen, BEVOR die Erregung bereits unter die Decke schießt und mit etwas Geduld ein entschleunigendes Ritual aufbauen. Beispiel: Vor dem Losgehen erst eine Hand voll Superleckerchen erschnüffeln lassen.
- Auch für uns Menschen heißt es die Langsamkeit zu entdecken: uns auf dem Spaziergang langsamer zu bewegen, dem Hund viel Zeit zum Schnüffeln und Erkunden zu geben, ihn gelegentlich stationär zu beschäftigen (z.B. Suchspiel).
- Generell sind nicht „Sitz“ oder „Platz“ die Devise. Es gilt vielmehr, dem Hund Verhaltensstrategien an die Hand zu geben, mit denen er bestimmte Situationen meistern kann. Anne Bucher setzt deshalb sehr darauf, vom Hund selbständig bzw. unaufgefordert gezeigtes erwünschtes Verhlten „einzufangen“ und zu markern – und ihn somit zum Mitdenken zu bringen.
Alexandra Lange: Was unsere Hunde mit dem Körper erzählen
Hundesprache erkennen heißt Lebensqualität schenken! Leider sind wir wortgewandten Menschen oft schlecht darin, körpersprachliche Signale zu erkennen. Besonders „blind“ sind wir in Bezug auf Hundebegegnungen (wir führen unserer Hunde unbeabsichtigt oft frontal in die Begegnung hinein), Spielverhalten (vieles, was wir dafür halten, ist gar kein Spiel) und in kleinen Alltagssituation, in denen die Hunde übersehene Konfliktsignale zeigen (zum Beispiel, wenn sich der Mensch beim Anleinen oder Geschirr anziehen direkt über sie beugt). Das Plädoyer von Alexandra Lange: Hunde-Körpersprache erkennen lernen; die Hunde nicht in Situationen zwingen, in denen sie zeigen, dass es ihnen nicht gut geht; und wenn sie Anzeichen von Konflikten zeigen; ihnen helfen!
Wibke Hagemann: Angsthunde
Wer seinem ängstlichen Hund helfen möchte oder überlegt, die Hilfe eines Hundetrainers oder -verhaltenstherapeuten in Anspruch zu nehmen, sollte Wibke Hagemann vorher gut zuhören. Gut verständlich erklärt sie im Interview die Bausteine, wie ängstlichen Hunden geholfen werden kann:
Zunächst wird die sichere Basis geschaffen:
- zunächst ein sicheres häusliches Umfeld schaffen: mit „sensorischer Diät“ (wenig Reize), viel Ruhe und Erholung
- kritische Situationen vorübergehend managen / vermeiden: zum Beispiel Spaziergehumgebungen überdenken etc.
- dazu Empowerment: dem Hund (u.a. durch kleine spielerische Herausforderungen) viele Erfahrungen der Selbstwirksamkeit zu geben
Dann wird nach den einzelnen Problemen und kritischen Situationen geschaut: Es werden Trainingspläne aufgestellt, in schweren Fällen erfolgt die Einbeziehung eines verhaltenstherapeutischen Tierarztes / einer Tierärztin.
Ganz wichtig: Den Hund „einfach so“ der Angstsituation auszusetzen, „damit er lernt, damit klarzukommen“ führt im schlimmsten Fall dazu, dass sich die Ängste verschlimmern. Gleiches gilt für das Anwenden von Strafen.
Sabine Winkler: Hunderassen – Was macht die Genetik mit dem Verhalten?
Rasseauswahl hat oft wenig mit Verstand und Vernunft zu tun, sondern ist stark emotional geprägt (welche Rasse „gefällt“) – was häufig zu Mensch-Hund-Konstellationen führt, die problematisch sind. In ihrem Interview gibt Sabine Winkler handfeste Tipps, was bei der Rasseauswahl zu beachten ist, zum Beispiel:
- Sinnvoll zu Beginn der Überlegungen ist tatsächlich eine Art „Stellenausschreibung“: Was möchte ich vom Hund / was soll nicht sein (z.B. soll mit den zwei Kindern gut klar kommen, ich mache gerne lange Wanderungen, in meiner Etagenwohnung soll er nicht bellen).
- Bei der Wahl in Betracht kommender Rassen sind insbesondere ihr typischer Aktivitätslevel sowie das rassetypische Jagdverhalten, Territorialverhalten und Bellverhalten zu berücksichtigen.
- Wer Beratung sucht, sollte sich idealerweise an Trainer oder (wegen gesundheitlicher Probleme) an Tierärzte wenden. Auch gute Züchter und Rassehandbücher bieten Beratung – allerdings sind diese naturgemäß von der Begeisterung über die jeweilige Rasse geprägt! Entscheidungsunterstützen können auch Notfallforen-/Notvermittlungsforen der jeweiligen „Wunschrasse“ sein, weil dort erkennbar ist, welche Probleme besonders häufig auftreten und z.B. Abgabegrund sind.
- Sabine Winkler hat als „typische Familienhunde“
Claudia Moser: Clickertraining und TAG-Teach
Claudia Moser und Ariane Ullrich sprechen zum einen sehr ausführlich darüber, was Clickertraining ist – nämlich nicht nur eine Möglichkeit, mittels Markersignal präzise zu bestärken, sondern auch eine Lebenseinstellung und Art des Umgangs mit dem Hund. Fokussiere dich auf das Gute anstatt erst auf das Schlechte zu reagieren, ist das Motto. Dazu ein spannendes Experiment: Versuche einmal 2 Tage, am Partner / an der Partnerin, an den Kindern, an Menschen auf der Straße etc. nichts zu kritisieren, sondern stattdessen deinen Fokus auf das Gute und Erwünschte zu richten: viel zu loben, sich viel zu bedanken – und dann entdecke, welchen Unterschied es macht! Spannend im Interview sind auch die Ausflüge ins TAG-Teach. TAG-Teach ist sozusagen die Übertragung des Clickertrainings in die Menschenwelt. Vor allen Dingen im Sportbereich wird es häufig angewandt.
Stefanie Riemer: Was fühlen Hunde wirklich?
Das Interview mit Stefanie Riemer von der HundeUni Bern (das ist die Forschungsgruppe zur Erforschung von Hundeverhalten an der Vetsuisse Fakultät der Universität Bern) gab einen Einblick in den aktuellen Stand der Wissenschaft. Je ursprünglicher die Gefühle (z.B. Angst), desto ähnlicher dürften sie unseren menschlichen sein. Und wenn ein Hund Angst zeigt, dann ist das auch ernst zu nehmen (auch, wenn uns der Anlass banal erscheint). Wenn allerdings viel „Denken“ hinter einem Gefühl steckt (z.B. Schuldbewusstsein / schlechtes Gewissen), sollten wir eher weniger „vermenschlichen“. Ganz nebenbei gab’s auch noch spannende Ergebnisse von Stefanie Riemers Forschungen zur Welpenentwicklung: Hunde, die bereits beim Züchter in der 3.-5. Lebenswoche mit kleinen Herausforderungen konfrontiert werden, sind später offenbar stressresistenter!
Hardy Keller: Halsband oder Geschirr
„Ist dieses Thema nicht schon ausgelutscht?“ war nach eigenen Worten die Reaktion von Hardy Keller auf die Interviewanfrage an Ariane Ullrich zum Thema „Halsband oder Geschirr“? Aus seiner therapeutischen Sicht ist die Sache klar: Die Lastverteilung auf den Körper ist am Geschirr einfach günstiger als am Halsband, mit dem „nur wenige Quadratzentimeter gestresst“ werden (mit Auswirkungen auf Halswirbel, Kehlkopf, Schildrüse, Luftröhre, Speiseröhre, Augeninnendruck, …). Die sehr wenigen Studien, die es zum Thema gibt, sind in Bezug auf die gesundheitlichen Auswirkungen eindeutig – und in Bezug auf das Halsband durchaus drastisch. Allerdings: Auch ein Geschirr muss gut sitzen: Es darf z.B. die Bewegungsfreiheit insbesondere der Schulterblätter nicht einschränken, nicht unter den Achseln scheuern und sollte (falls verstellbar) gepolsterte Schnallen haben.
Diskussion „Dominanz und Führungsqualität“
Die Diskussion begann kontrovers und durchaus anstrengend (was ist in der Wissenschaft denn nun eigentlich „Dominanz“?), endete jedoch mit viel Einigkeit der Referent(inn)en Marie Nitzschner, Barbara Schöning und Gerd Schreiber:
- Konzepte und Worthülsen wie „Dominanz“, „Führungsqualität“ und „Respekt“ sind nicht wirklich hilfreich in Zusammenleben und Training mit dem Hund.
- Wir Menschen sollten aufhören, die Verhaltensweisen unserer Hunde ständig so zu interpretieren, als seien sie „gegen uns“ und unsere „Führungsqualitäten“ gerichtet. Wenn uns ein konkretes Verhalten stört, dann sollten wir genau hinschauen und überlegen, wie wir konkret dieses Verhalten ändern können.
- Anstelle ein Vokabular wie „Führungsperson“ oder „Chefrolle“ zu verwenden, sollten wir uns für unsere Hunde in erster Linie als freundliche, verlässliche Sicherheitsgeber definieren.
- Hund sind im Alltag komplett auf uns angewiesen – wir sollten ihnen das Zurechtleben in der Menschenwelt ermöglichen und es ihnen nicht schwerer machen, also sie es ohnehin schon haben.
Anika Zimmer: Welpen und Kinder
Die gute Nachricht: Welpen und Kinder, das passt eigentlich prima – sagt Annika Zimmer. Es kann eine große Bereicherung sein, wenn Hund und Kind zusammen aufwachsen. Doch Annika Zimmer sagt auch: Es bedarf sorgfältiger Vorbereitung, viel Management quasi rund um die Uhr und einer ordentlichen Portion Nervenstärke. Und einige ziemlich stressige Wochen und Monate sind auch zu erwarten. Wie andere der Referent(innen) zum Thema „Hund und Kind“ und „Anschaffung eines Hundes“ wurde auch Anika Zimmer nach ihren favorisierten Rasse-Vorschlägen für einen vergleichsweise unkomplizierten Familienhund gefragt. Hier lagen alle relativ dicht beieinander. Benannte wurden ganz vorne die Retriever, aber auch Berner Sennenhunde, Pudel und Spaniels.
Christine Kompatscher: Zaubertherapie
Auf diesen Vortrag waren wir besonders gespannt! Christine Kompatscher erklärt, warum und wie sie Zauberkunststücke in der tiergestützte Arbeit einsetzt und wie das Zaubern in den therapeutischen Kontext eingebunden wird. Dafür gibt es generell zwei Säulen:
- Zum einen hat Zaubern viel mit Sprache und Fokussierung zu tun: Wohin lenkt der Zauberer die Aufmerksamkeit? Es ist möglich, beim Vorführen von Zauberkunststücken viele Botschaften an die Klienten zu übermitteln.
- Und vor allen Dingen: Zaubern kann man weitergeben! Gerade Kinder und Jugendliche, die oft erleben, dass sie Dinge nicht können, haben dann ein Werkzeug an der Hand, mit dem sie „etwas können“ und an Selbstbewusstsein gewinnen.
Den Hund in die Zaubertherapie einzubeziehen, ist sehr wirksam. Tiere sind ohnehin „Türöffner“ – erst recht natürlich, wenn das Tier zaubern kann! Dieses spannende Thema interessiert Sie? Christine Kompatscher hat auf Youtube ein 90minütiges kostenloses Webinar zum Thema veröffentlicht – mit Huntergrundinformationen und vor allen Dingen praktischen Beispielen aus ihrer Arbeit.
Hildegard Jung: Biss-Prävention – Der Blaue Hund
Aurea Verebes: Warum Hunde Kinder beißen
„Wissen schützt vor Bissen“ könnte auch das Motto von Aurea Verebes Interview sein. Was uns besonders im Gedächtnis geblieben ist:
- Hauptursache von Beißvorfällen sind das Umarmen (Menschen umarmen zu vielen Anlässen, bei Hunden wird körperliches Fixieren nie im positiven Kontext gezeigt), chronische oder akute Schmerzen des Hundes (hier geschieht auch reflexives Beißen als Reaktion auf plötzlichen Schmerzen), Ressourcen (Futter, Spielzeug, Bezugsperson), fehlgeleitetes Beutefangverhalten (wenn Kinder quietschen, schreien, rennen).
- Hauptproblem ist, dass weder Eltern noch Kinder (letztere können körpersprachliche Signale erst ab dem 7./8. Lebensjahr richtig interpretieren) körpersprachliche Signalen beim Hund „lesen“ können: Es wird schlichtweg nicht erkannt, wenn der Hund in Konflikt ist!
- Was die Menschen tun können: gemeinsam Hunde-Körpersprache lernen; mit den Kindern (möglichst positive) Regeln absprechen, zu welchen Zeiten mit dem Hund interagiert werden darf und wann er in Ruhe gelassen wird; mit dem Hund ein sehr gut sitzendes Signal einführen, das auch in stressigen Situationen funktioniert (z.B. Anstupsen der Hand zum Herausführen aus der Situation); einen Rückzugsraum für den Hund einrichten; den Umgang mit Ressourcen mit Hund (z.B. Dinge austauschen üben) und Kind (wie verhalte ich mich, wenn der Hund frisst / ein Spielzeug in der Schnauze hat etc.) üben.
- Wenn es bereits Konflikte zwischen Hund und Kind gegeben hat sind die Prognosen am günstigsten, wenn ganz konkrete, klar definierbare Situation Auslöser waren.
- Zur Anschaffung eines Welpen / neuen Hundes rät Aurea Verebes erst, wenn die Kinder ca. 7 Jahre alt sind: Dann können sie Hunde-Körpersprache lesen und brauchen nicht mehr ganz so viel Aufmerksamkeit wie ein Kleinkind. Bei der Rasse-Auswahl des Familienhundes sollte das Hauptkriterium ein ausgeglichenes, ruhiges, nervenstarkes Wesen sein. Von eher „hibbeligen“, leicht erregbaren Hunden ist abzuraten.
Bina Lunzer: Dogs & Storks. Präventionsprogramm für Familien
Das Trainernetzwerk www.familienhund.info ist seit 2013 im deutschsprachigen Raum für Familien mit Hund aktiv. Ziel ist es, Familien mit Hund auf das Leben mit Baby vorzubereiten. Dafür gibt es Vorträge und Webinare sowohl für Familien in der Schwangerschaft als auch für Menschen mit Baby.
Was Bina Lunzer für die Geburtsvorbereitung empfiehlt:
- sich fragen: Gibt es etwas, das mich im letzten Teil der Schwangerschaft oder mit Baby im Arm oder Kinderwagen stören könnte (z.B. Ziehen an der Leine)? Gibt es Gewohnheiten, die verändert werden sollten, weil sie mit Baby dabei schwierig werden könnten (z.B. Mahlzeiten zu einer ganz bestimmten Uhrzeit?) Dann sollte man rechtzeitig daran arbeiten.
- Kann der Hund die üblichen Signale (z.B. „Sitz“) auch dann, wenn ich eine Puppe im Arm halte oder die Arme verschränke?
- Was der Hund vorbereitend können / lernen sollte: Sitz oder Platz mit Bleib-Komponenten, Gehen an lockerer Leine, Signal „Spuck’s aus“ oder „Gib’s“, Warten hinter einer Barriere, Rückruf, der auch Indoor funktioniert (ideal, um brenzlige Situationen zu beenden).
Wenn das Baby da ist, sieht sie folgende typische Brennpunkte:
- Kennenlernsituation zwischen Baby und Hund (nicht so gestalten, dass, wenn Frauchen aus dem Krankenhaus wieder nach Hause kommt und der Hund ohnehin schon aufgeregt ist, ihm die Babytrage einfach hingestellt wird).
- Hund niemals mit dem Baby unbeobachtet lassen!
- Babysitter nicht mit Kind und Hund alleine lassen, sondern den Hund dann woanders vorbringen (im anderen Raum, mitnehmen und im Auto lassen etc.)
- Umsicht bei Fotosessions zwischen Hund und Kind! Zwischen Hund und Baby gehört immer der Körper eines Erwachsenen!
Ganz klar ist ihr Plädoyer für eine gewaltfreie Erziehung: Bina Lunzer verweist auf wissenschaftliche Studien, wonach Hunde, die mit „Konfrontationsmethoden“ erzogen werden, eine höhe Aggressionsbereitschaft aufweisen. Dazu kommt die Vorbildfunktion: Kinder werden immer das nachmachen, was sie sehen.
Janey May: Leben mit Kindern und Hunden
Ein toller Vortrag voll mit kreativen Ideen für ein harmonisches Zusammenleben von Kind und Hund! Janey May ist Tierärztin, Tierverhaltenstherapeutin und auch Mitwirkende in den Präventionsprojekten „Blauer Hund“ und „Family Paws Education“.
Ihre persönlichen Tipps zur Vorbereitung auf das Baby:
- ein positiv auftrainiertes Signal, die Hunde auf einen Platz hinter eine Barriere / einem Kindergitter schicken zu können
- ein konditioniertes Pause-Signal, das für Selbstbeschäftigung und Chillen steht: Wann immer die Spotify-Playlist „Peaceful-Piano“ läuft, gibt’s keine soziale Interaktion
- mehr Selbstbeschäftigung, vor allem Enrichment und Entspannung über Schlecken
- mehr kurze, knackige Indoor-Beschäftigungseinheiten (z.B. Geruchsunterscheidung)
- Puppen-Training: Die Hunde an Baby auf dem Arm und anders aussehende Signale gewöhnen
- sinnvoll auch: Hundesitter organisieren, der gelegentlich einmal einspringen kann.
Was können (kleine) Kinder mit Hund machen?
- alleine gar nichts!!! Dreh- und Angelpunkt sind immer die Erwachsenen.
- eine kleine Aufgabe, das dem Kind sagt, es wird gebraucht (z.B.: auf den Füllstand eines bestimmten Wassernapfes achten)
- ein eigener Leckerli-Beutel, der jeden Tag mit einer Ration Futter befüllt wird, der unter Aufsicht vergeben werden kann (das Kind wirft die Futterbröckchen auf den Boden; die Hunde haben ein Signal gelernt für „jetzt nur vom Boden fressen“).
- positive Schepperdose: Scheppern = darin befindliches Futter wird auf Hundeliegeplätzen serviert.
- Target-Training z.B. mit Umwelttargets (Hüpfen auf Baumstümpfe).
Genial die Ideen für Spaziergänge mit Kind und Hund: Damit alle beschäftigt sind und auch die Eltern mal auf „Autopilot“ schalten können, helfen ein/zwei Runden, die durchstrukturiert mit verschiedenen Stationen sind: an bestimmten Stellen wird Futter gesucht, Ball gespielt, auf Baumstümpfe gehüpft, Picknick gemacht usw.!
Kurt Kotrschal: Warum der Mensch den Hund braucht
Es fing für unseren Geschmack ein bisschen Leadership-lastig an. Wer sich jedoch dafür interessiert, warum ausgerechnet Wolf und Mensch vor Jahrtausenden zusammenkamen und was Hundehaltung und Stadtplanung miteinander zu tun haben, der findet anschließend eine Menge Inspirationen. Was uns besonders im Gedächtnis geblieben ist:
- Man geht davon aus, dass Hund und Wolf bereits vor 35.000 Jahren zusammengekommen sind. Erst 20.000 Jahre später wurden die „nächsten“ Haustiere domestiziert.
- Warum ausgerechnet Wolf und Mensch zusammen gekommen sind (und nicht z.B. Wolf und Hyäne), liegt vermutlich an ihrem extrem ähnlichen Sozialverhalten: Unglaublich nett zur eigenen Familie – aber auch mit starken Tendenzen, sich mit den Nachbarn anzulegen ;-)
- Es gibt auf der Welt keine menschlichen Gemeinschaften, die nicht mit Hunden leben. Hund sind inzwischen so in unserer Gesellschaft verwurzelt, dass sich alle Menschen damit befassen sollten (auch die Nicht-Hundehalter), wie man mit Hunden lebt. Kurt Kotrschal geht sogar so weit zu sagen: Es gibt ein Menschenrecht auf Hundehaltung! Zu einem menschengerechten Leben gehört ein Leben mit Tieren. Das Lebensumfeld des Menschen sollte so gestaltet sein, dass auch Hunde darin leben können. Und: Hundgerechte Städte sind auch kindgerechte Städte! Es gibt Studien aus Dänemark, die klar gezeigt haben: Kinder, die in Umgebungen mit viel Grün und ohne übergroße Enge und Dichte aufgewachsen sind, haben im Erwachsenenalter deutlich geringere Wahrscheinlichkeiten, psychische Probleme zu entwickeln.
Ulrike Seumel: Hundebegegnungen leicht gemacht
Vorausgestellt: Änderungen auf Knopfdruck gibt es nicht. Aber eine Idee davon, welche Strategien im Begegnungsfall hilfreich sind (Ziel: Hunde empfindet die Begegnung zukünftig als angenehm) und welche zu vermeiden sind (Stress, Aversiva, Anspannung) kann schon eine Menge verändern. Das Gespräch zwischen Ariane Ullrich und Ulrike Seumel gibt einen ersten Eindruck davon. Im sehr groben Schnelldurchlauf, wie das Umlernen funktioniert:
- Hund bleibt stehen und guckt den anderen an: Markern und Belohnen.
- Hund bleibt stehen und guckt den anderen an: Markern und Gabe der Belohnung nutzen, um etwas Distanz aufzubauen / wegzugehen.
- Hund guckt den anderen an, wendet sich (zunächst in Erwartung der Belohnung) von selbst bereits ab, Markern und Distanz beim Belohnunggeben vergrößern.
- Hund darf mehr selbständig interagieren, ehe der Marker kommt, gerne eine Weile weiter Distanz vergrößern.
Was für alle Hunde grundsätzlich erstrebenswert ist: Lernen, es gut aushalten zu können, dass sie nicht zu jedem Hund hinkönnen (denn, wie Ulli Seumel so schön sagt „Frust und Aggression sind Reihenhausnachbarn“), und andererseits regelmäßig Gelegenheit bekommen, das Bedürfnis nach Hundekontakten zu befriedigen (unserer Erfahrung nach sind dafür übrigens gemeinsame Spaziergänge ideal).
Arne Winkler: Grunderziehung – wie trainiert?
Ein sehr entspanntes, informatives und auch handfestes Interview für alle, die mehr darüber lernen möchten, wie man Hunde nicht nur erzieht, sondern dabei auch eine gute, vertrauensvolle Beziehung aufbaut!
Kernaussagen, die uns besonders gut gefallen haben:
- „Es gibt keine fachliche Legitimation für Gewalt im Tiertraining… Jeder, der etwas anderes behauptet, hat entweder keine Ahnung oder Spaß an der Gewaltanwendung.“
- Wir sind keine Arbeitsgemeinschaft (brauchen den Hund also nur für „Arbeitszwecke“, dafür muss er funktionieren, danach ist er im Zwinger), sondern eine Sozialgemeinschaft (wir leben zusammen und sollten an einer guten und vertrauensvollen Beziehung arbeiten).
- Elementar für die Grunderziehung ist nicht das Standardprogramm „Sitz-Platz-Fuß“, sondern Vertrauen und Orientierung zum Menschen in allen Lebenslagen, Rückrufbarkeit, Gehen an lockerer Leine.
- Wann immer Belohnungen eingesetzt werden: Mach dir Gedanken darüber, ob sie beim Hund auch tatsächlich als Belohnungen ankommen (Beispiel: Für Menschen ist es normal und erfüllend, Hunde zur Belohnung zu streicheln. Für Hunde ist das im Training meist keine Belohnung).
Michaela Kleemann: Herdenschutz- und Hütehund
Spannend, aus der Sicht einer Schäferin und zugleich BHV-Hundetrainerin über das Zusammenleben und Zusammenarbeiten mit sowohl Herdenschutz- als auch Hütehunden zu erfahren. Welche unterschiedlichen Aufgaben erfüllen die Hunde bei der Arbeit an der Herde – und welche Herausforderungen erwarten uns, wenn wir einen Hütehund oder Herdenschutzhund als Familienhund aufnehmen? Zwei Dinge haben wir besonders mitgenommen:
- Michaela Kleemann rät davon ab, den Familien-Hütehund gelegentlich „an Schafe“ zu lassen, um ihm eine vermeintlich artgerechte Beschäftigung zu bieten. Sie meint: Das schafft Probleme, die man vorher nicht hatte!
- Ihre Bitte in Bezug auf Herdenschutzhunde bei der Arbeit: Bitte Abstand halten, nicht zu nah an die mobilen Zäune herantreten und darauf verzichten, das schöne Bild der hellen Hunde mit ihren Schafen aus der Nähe zu betrachten. Für Hunde und Herde schafft das unnötige Unruhe!
Karin Jüngling: C.A.T – Training für reaktive Hunde
In aller Kürze vorweg: Constructional Aggression Treatment, kurz C.A.T , ist definitiv nichts, mit dem man einfach so loslegen kann. Selbst erfahrene Trainer(innen) würden darin zunächst Anleitung benötigen. Sehr vereinfacht gesagt: Ein Hund, der Aggressionsprobleme hat, wird in ein „Setting“ gebracht, in dem der Auslöser (zum Beispiel ein Mensch, auf den er aggressiv reagiert) in Sicht ist, der Hund jedoch noch nicht auslöst. Für jede Reaktion des Hundes, die NICHT aggressiv ist, wird er belohnt – und zwar mit mit dem Weggehen des Auslösers (wir haben ähnliche Ansätze bislang so kennengelernt, dass als Belohnung der HUND gelernt hat, vom Auslöser wegzugehen). C.A.T.-Sessions können dabei durchaus schon einmal 5-6 Stunden lang sein, puh…! Karin Jüngling gibt in ihrem Interview einen sehr kundigen und sympathischen Einblick in diese Methode, die in den USA vor allem durch Kellie Snider bekannt geworden ist.
Unbedingt empfehlenswert für ALLE ist der kleine Exkurs zur sogenannten „Eskalationsleiter“: Ab Minute 42:30 erläutert Karin Jüngling sehr anschaulich, wie durch menschliche Unkenntnis der hundlichen Körpersprache Missverständnisse, Aggressionsprobleme und im schlimmsten Fall sogar Beißvorfälle werden können.